Wenn ein Kunde seine Versicherungsprämien nicht bezahlt, setzt ein Automatismus ein: Von der Prämienfälligkeit bis hin zur Eintreibung des Geldes vergehen einige Wochen, in denen der Kunde gemahnt wird. Danach bringt Rosalia ein Betreibungsverfahren in Gang. "Ich führe nicht selten sehr emotionale Gespräche. Kann sein, dass ein Kunde wütend wird oder verzweifelt ist. Ich habe über die Jahre ein Gespür und Gehör entwickelt, wer Ausreden nutzt und wer wirklich in einer Zwangslage steckt. Auch mache ich mir Notizen in den Telefongesprächen. Wenn einer mir zum 5. Mal erzählt, dass er aus unerklärlichen Gründen die Rechnung nicht erhalten hat, fehlt jede Glaubwürdigkeit."
Fingerspitzengefühl und die richtige Dosis an Empathie gehören zu Rosalias Job. Es geht darum, eine Lösung zu finden, wie das Versicherungsgeld mit den finanziellen Möglichkeiten der Kunden bezahlt werden kann.
«Ich führe nicht selten sehr emotionale Gespräche. »
Die Beträge, die Baloise-Kunden teils versäumen zu zahlen, sind unterschiedlich hoch. Handelt es sich um kleine Summen, wird meist kein Inkasso-Verfahren eröffnet. Vielmehr wird dem Kunden gekündigt. "Ich habe irgendwann mal gefragt: Was heisst das für die Baloise? Dass sie Geld verliert. Was heisst das für unseren Aussendienst? Dass er Arbeit verliert. Da habe ich mich entschieden, etwas dagegen zu tun."
Rosalia begann gezielt Kunden, die mit Kleinbeträgen im Rückstand waren, anzurufen. Sie erfragte ihre Beweggründe, und nicht wenige gaben an, die Zahlungen schlichtweg vergessen zu haben. "Ich war oft erstaunt, wie schnell die Beträge nach meinen Anrufen auf unseren Konten landeten. Ganz einfach durch das persönliche Gespräch. Wer angab, selbst kleinere Beträge nicht zahlen zu können, mit dem habe ich individuell Ratenzahlungen vereinbart und siehe da: auch dieses Geld erreichte uns. Ich war ehrlich gesagt überrascht wie gut mein System funktionierte."
«Ich komme mit Spass zur Arbeit! Eigentlich ein Paradoxon in einem Negativjob wie dem Inkasso.»
Dass es dieses System überhaupt gibt, liegt an Rosalias Engagement. Würde sie sich nicht telefonisch mit den Kunden auseinandersetzen, gingen die Kündigungsschreiben raus und das Geld bzw. die Kunden wären verloren. So aber entstehen echte Bindungen, und ein paar Tausend Franken Prämiengelder finden jährlich doch noch ihren Weg in die Baloise. "Ich kenne die Leute inzwischen gut, die immer wieder säumig sind, und sie kennen mich. Da ist eine Verbindlichkeit entstanden, eine Beziehung zueinander. Die meisten Kunden wollen letztlich mich persönlich nicht hängen lassen. Sie wären beschämt. Ich habe ein Helfersyndrom und komme ihnen einen grossen Schritt entgegen. Für sie ist das oft eine Unterstützung in einer Notlage und das danken sie mir."
Angefangen hat Rosalia als Sachbearbeiterin in einem Bereich der Baloise, der sich mit Unfällen und Krankengeldern auseinandersetzt. "Eigentlich wollte ich nach der Lehre in einem Familienbetrieb nach Florenz gehen und studieren, aber die Baloise kontaktierte mich über die KV-Vermittlung. Mein Bruder schubste mich sanft in die Richtung, zunächst mal diesen Job anzunehmen und dann bin ich nie wieder gegangen." Gut zehn Jahre blieb sie bei ihrer Arbeit, liebäugelte aber immer mit der Inkasso-Abteilung. Im Jahr 1996 kam die Chance auf einen Wechsel und die nahm sie wahr. Raus aus der Monotonie und rein in die Möglichkeit auf Weiterentwicklung. Genau das tat Rosalia gut. "Ich komme mit Spass zur Arbeit", lacht sie. "Eigentlich ein Paradoxon in einem Negativjob wie meinem. Aber ich kann hier Mensch sein und Menschlichkeit weitergeben. Das ist im Inkassobereich keine Selbstverständlichkeit."