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Die künftige Verteilung von Flächen |
«Langfristig sind autounabhängige
Städte alternativlos.»
Blog Die künftige Verteilung von Flächen |
«Langfristig sind autounabhängige
Städte alternativlos.»
Corinna Fröschke 23. November 2023 Mobilität, Innovation, Nachhaltigkeit
Sterben unsere Strassen, wenn wir sie zu reinen Einkaufsstrassen machen? Zu Flaniermeilen, in denen Fahrräder und Fussgänger Vorrang haben und Autos untersagt sind? «Nein», weiss Thomas Hug, Verkehrs- und Raumplaner in Zürich. «Eine Studie* aus Berlin belegte, dass 93% der Einkaufenden entsprechende Geschäfte nicht mit dem Auto erreichen. Das ist übertragbar für unsere Breiten sowie für Innenstädte auf der ganzen Welt. Händler schätzen die Situation ihrem Bauch folgend falsch ein. Die Daten sprechen eine andere Sprache.»
Der Handel überschätzt die Rolle des Autos

«Von Offenbach bis Leipzig, von Nordamerika bis Australien – die Erkenntnisse sind überall sehr ähnlich», fasst Thomas diverse aktuelle Studien zusammen: «Durchschnittlich kommen nur 7% der Einkaufenden in urbanem Raum mit dem Auto, rund 51% der Befragten wohnen weniger als 1 Kilometer von der jeweiligen Einkaufsstrasse entfernt.» Als Raum- und Verkehrsplaner ist es Thomas wichtig, der Emotionalität rund um künftig autofreie Städte mit Fakten zu begegnen. «Das Problem ist», sagt er, «dass wir in den vergangenen 60-70 Jahren alles für das Auto als primäres Verkehrsmittel getan haben. Das Umdenken tut weh», und dafür sieht Thomas mehrere Gründe: Unsere Bequemlichkeit («das war doch immer so»), unsere Verlustängste («mir wird was weggenommen»), unser Selbstverständnis («Ich parke, wo ich will.»). «Fakt ist», betont Thomas, «dort, wo bereits autoberuhigt geplant wird, leben Menschen gesünder. Wir müssen bequeme Alternativen im öffentlichen Verkehr schaffen. Autos nutzen zu viel Platz im öffentlichen Raum. Wir können es uns nicht leisten.»

*Studie: Handel überschätzt die Rolle des Autos (zukunftdeseinkaufens.de)

«93% der Einkaufenden erreichen Geschäfte nicht mit dem Auto. Rund 51% der Befragten wohnen weniger als 1 Kilometer von der jeweiligen Einkaufsstrasse entfernt.»

Raum- und Verkehrsplanung als Ganzes betrachten

Dass Thomas das Büro urbanista.ch mitgegründet hat, speist sich aus der Überzeugung, dass Raum- und Verkehrsplanung (die allgemein getrennt betrachtet werden) thematisch und interdisziplinär zusammengehören. «Unsere Kunden suchen für ihre Strategieprojekte explizit unsere inklusive Herangehensweise: Wie lassen sich freie Flächen gestalten, wenn Industrien wegziehen? Wie können die, die auf Autos angewiesen sind, ihr Fahrzeug effizienter nutzen, während wir die Gesamtzahl an Fahrzeugen in Städten reduzieren?»

Seit 2016 beschäftigt sich Thomas verstärkt mit der Neugestaltung urbaner Räume, findet passende Konzepte und rollt sie gemeinsam mit anderen entsprechend aus. «Die Politik hat oft Angst, hier etwas zu verändern. Meist wird gar nicht rational diskutiert», berichtet Thomas aus der Erfahrung. «Es braucht Durchhaltewillen, um sich zu trauen», und urbanista.ch spricht primär jene an, die sich trauen wollen.»

«Eine klare Haltung bringt uns mit den passenden Kunden zusammen.»

Thomas’ Ansichten – die längst nicht überall populär sind – vertritt er so konfrontativ wie kreativ, stets faktenbasiert und auch in den sozialen Medien. «Die Aufträge kommen nicht einfach so in unser Büro geflattert. Wir haben unsere Nische gefunden und wir wollen über diese Nische reden, indem wir positive Beispiele bringen und neue Ideen aufzeigen. Es ist ein schmaler Grat, aber wir definieren ihn bewusst auch auf Social Media. Mit unserer klaren Haltung generieren wir Aufmerksamkeit für nachhaltige, ressourcenorientierte, inklusive Strategieprojekte im Bereich Raum- und Verkehrsplanung und werden von Kunden gefunden, die adäquat zu uns passen.»

urbanista.ch offeriert Services aus Überzeugung, die Mitarbeitenden engagieren sich ebenso privat: Dabei geht es neben Smart Cities und der Partizipation bzw. Mitgestaltung aller, auch um den ländlichen Raum und die Frage wie hier z.B. autonome Fahrzeuge zu mehr Autonomität der Bevölkerung beitragen.

«Dort, wo bereits autoberuhigt geplant wird, leben Menschen gesünder. Wir müssen bequeme Alternativen im öffentlichen Verkehr schaffen. Autos nutzen zu viel Platz im öffentlichen Raum. Wir können es uns nicht leisten.»

Autofreie Städte sind langfristig alternativlos

«Kein Mensch plant die Transformation unserer Städte, um andere zu ärgern oder ihnen etwas wegzunehmen», fährt Thomas fort, «aber gedankenloses Weitermachen wie bisher führt uns in eine Sackgasse.» Der 32-jährige verweist auf den Klimawandel und damit verbunden auf die Tatsache, dass wir mehr Bäume und Schatten brauchen werden, um Städte herunter zu kühlen. Der zunehmende Starkregen verlangt zudem nach Sickerflächen, die durch effizientere Parkraumbewirtschaftung (auch dank Shared Mobility) freigegeben werden könnten. Ergänzt man diese Überlegungen durch öffentliche Verkehrsmittel in Kombination mit einer attraktiven Velo-Infrastruktur, führt dies in ein klimaneutrales Verkehrssystem.

«Unsere Ambition muss ein Prototyp für die Mobilität der Zukunft sein», sagt Thomas. «Es geht um die künftige Verteilung von Flächen. Wenn wir das auf höherer Ebene nicht mutig austragen, werden wir auf der Strasse niemals glücklich sein.»

Durch Schatten und Verdunstung senken Bäume die Hitze im Sommer um bis zu 10 Grad. Weil die Politik jedoch (noch) nicht entsprechend handelt, wird in Zürich in einem Stadtklima-Experiment darauf aufmerksam gemacht: eine s.g. Wanderbaumallee. Sie steht symbolisch für den dringenden Bedarf von zusätzlichen Bäumen – frei nach dem Motto «Bäume statt Asphalt».

Durch die Bäume auf Gehwegen und in Parkbuchten sollen Menschen sensibilisiert bzw. daran erinnert werden: «Hier könnte auch etwas anderes sein als ein Parkplatz.» 

Hier geht's zur Stadtklima-Initiative!
Mobilität der Zukunft | Wie bewegen wir uns von A nach B?

Wie bereits erwähnt, einem hochemotionalen Thema wie dem «Verteilkampf auf der Strasse», begegnet man am besten mit Fakten. Daten öffnen uns die Augen und unterstützen bei Veränderungen. «Das Problem ist», erklärt Thomas, «dass es unglaublich viele Informationen zum Autoverkehr an sich gibt, weil z.B. Detektoren an den Ampeln die Autos messen oder weil Mobiltelefone und Navis uns permanent tracken. Zu kleineren Fahrzeugen wie Fahrrädern oder zum menschlichen Mobilitätsverhalten gibt es jedoch kaum öffentliche Daten. Dieser Umstand gestaltet die Argumentation für die Verkehrsberuhigung herausfordernd. Nur ganz allmählich entstehen erste Ansätze, um auch hier Daten geschützt zu generieren, die weniger autozentriert sind.»

Geben wir Radfahrern ein menschliches Gesicht!

Thomas verweist auf eine weitere Studie, deren Erkenntnisse ein Umdenken und eine Zusammenarbeit im Bereich Mobilität zusätzlich erschweren: «Autofahrer stufen Radfahrer in der direkten Konfrontation im Strassenverkehr als nicht menschlich ein; sondern abstrakt als Verkehrsteilnehmende. So belegen es Umfragen aus Dänemark und Australien. Durch diese Abstraktion wird es leichter, Aggressionen zu rechtfertigen.» Wir nehmen also einen Velofahrenden wahr, jedoch keinen Menschen aus Fleisch und Blut. In der Folge fehlt Empathie, wodurch das Risiko für alle steigt.

«Daten können Radfahrenden im Verkehr ein menschliches Gesicht und somit Legitimation geben», finalisiert Thomas. «So werden wir unseren Raum effizient und rücksichtsvoll gemeinsam nutzen, und ihn nützlich für alle gestalten, die an Mobilität teilnehmen – sprich alle Menschen. Mehr Daten bringen mehr Erkenntnisse. Mehr Erkenntnisse führen in eine menschenzentriertere Stadt – solange wir sie dann auch umsetzen.» Davon ist Thomas überzeugt.

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