Laut Studien der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin leiden rund 25-30 % der Erwerbsbevölkerung innerhalb eines Jahres an psychischen Beschwerden doch nur ein Bruchteil erhält professionelle Unterstützung (Pech, Rose & Freude, 2010).
Die Arbeitswelt verändert sich rasant. New Work verspricht mehr Freiheit, Sinn und Selbstverantwortung und gleichzeitig wachsen Unsicherheiten, Leistungsdruck und der Wunsch nach Stabilität. Unternehmen stehen damit vor einer entscheidenden Aufgabe: Sie müssen die mentale Gesundheit nicht nur schützen, sondern aktiv fördern.
Wie das gelingen kann, zeigen Forschungsergebnisse und Praxisbeispiele: Psychische Gesundheit darf nicht als individuelle Schwäche behandelt werden, sondern ist eine kollektive Verantwortung von Führungskräften, Teams und Organisationen gleichermassen (Wörwag & Cloots, 2018).
Lange wurde mentale Gesundheit mit dem Fehlen psychischer Störungen gleichgesetzt. Heute ist klar: Es geht um mehr. Mentale Gesundheit bedeutet emotionale Stabilität, Selbstwirksamkeit, soziale Eingebundenheit und nicht zuletzt die Fähigkeit, mit Herausforderungen konstruktiv umzugehen (Pech et al., 2010).
Gerade im betrieblichen Kontext brauchen wir einen Paradigmenwechsel: Weg von der Problemfixierung, hin zur Ressourcennutzung. Teams, die sich gegenseitig stärken. Führungskräfte, die zuhören. Arbeitsmodelle, die sowohl Freiräume als auch Strukturen bieten.
Zu den wirksamsten Hebeln zählen:
- Psychologische Sicherheit im Team: Fehler dürfen gemacht und offen angesprochen werden.
- Flexible Arbeitsmodelle: Homeoffice, Teilzeit, Jobsharing bewusst gestaltet, nicht als Überforderung.
- Führungskompetenz: Mentale Gesundheit gehört in die Toolbox moderner Führung (Wörwag & Cloots, 2018).
- Erholung & Achtsamkeit: Pausen sind keine Schwäche, sie sind Produktivitätspflege.
- Niedrigschwellige Hilfeangebote: Digitale Tools, interne Stellen oder externe Beratung müssen leicht zugänglich und entstigmatisiert sein.
Auch das Arbeiten von zuhause bringt Licht und Schatten. Mehr Autonomie, aber auch mehr Isolation. Studien zeigen: Die mentale Gesundheit im Homeoffice hängt stark von Kommunikation, Selbstorganisation und einem gesunden Gleichgewicht aus Vertrauen und Verantwortung ab (Landes, Steiner, Utz & Wittmann, 2021).
Was früher als soft galt, ist heute ein harter Wettbewerbsfaktor. Unternehmen, die mentale Gesundheit ernst nehmen, profitieren von motivierteren Mitarbeitenden, geringeren Ausfallzeiten und einer Kultur, die Talente nicht ausbrennt, sondern wachsen lässt.
Ein Beispiel für ein präventives Angebot bei Baloise ist der ensa-Erste-Hilfe-Kurs für psychische Gesundheit. Die Teilnehmenden werden in sieben Online-Sessions à zwei Stunden zu sogenannten „Ersthelfenden“ ausgebildet. Ziel ist es, Unsicherheiten im Umgang mit psychischen Krisen abzubauen und Hilfe frühzeitig zugänglich zu machen.
Inhalte des Kurses umfassen:
- Das richtige Vorgehen bei psychischen Notfällen nach dem bewährten ROGER-Modell
- Erkennen und Ansprechen psychischer Belastungen im Kollegenkreis
- Abbau von Hemmschwellen gegenüber professioneller Hilfe
- Förderung von Selbsthilfe und aktiver Unterstützungskultur im Unternehmen
Die Teilnahme ist freiwillig, wird aber zur Hälfte als Arbeitszeit angerechnet. Ein klares Signal, dass mentale Gesundheit ernst genommen wird.
Warum das wichtig ist:
Die Ausbildung von Mitarbeitenden zu „Ersthelfenden für psychische Gesundheit“ schafft Anlaufstellen im Arbeitsalltag, die Kolleg:innen Orientierung und erste Hilfe bieten können. Es fördert eine achtsame, offene Unternehmenskultur und ergänzt klassische Führungsinstrumente auf sehr menschliche Weise.