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Karrieretipps
Nida Temaj 4. September 2025 Weiterentwicklung, Haltung / Einstellung, Produktivität
Stell dir vor, im Jobinserat stünde: „Bitte nur bewerben, wenn Sie mindestens einmal grandios gescheitert sind.“ Vielleicht sollte genau das ganz oben im Anforderungsprofil stehen.
Stärke aus Bruchstellen

Wir reden ständig über Erfolg: Beförderungen, Projekte, Wachstumskurven. Aber kaum jemand spricht über die Brüche dazwischen. Über die Momente, in denen nichts mehr geht, die Bewerbungen scheitern, die Präsentation floppt oder die Pläne implodieren. Und doch: Genau dort liegt der Stoff, aus dem Resilienz entsteht.

Was eine Volkswirtschaft vom Stolpern lernt

Die Schweiz selbst zeigt, wie das funktioniert. Innerhalb weniger Jahre wurde sie von drei Krisen erschüttert: der Covid-19-Pandemie, der Energiekrise und dem Zusammenbruch der Credit Suisse. Alles Momente, die wie Endpunkte wirkten. Und trotzdem hält der Lagebericht des Bundesrates 2024 fest: „Die Schweizer Volkswirtschaft als Ganzes hat sich jedoch einmal mehr als äusserst resilient erwiesen.“ Trotz der Krisen wuchs das BIP pro Kopf zwischen 2019 und 2022 um 0,84 % jährlich (Bundesrat, 2024).

Aber: Diese Resilienz ist kein Selbstläufer. Sie war nur möglich durch strukturelle Stützen, von Kurzarbeit und staatlichen Garantien bis hin zur starken Pharmaindustrie. Anders gesagt: Auch wenn das Land im Kollektiv „resilient“ wirkt, sind die individuellen Schicksale oft brüchiger. Nicht jede:r ist gleich gut abgefedert. Genau diese Spannung macht das Thema auch für Karrieren interessant.

Resilienz ist kein Talent

Dasselbe Prinzip gilt auf der persönlichen Ebene. Die Resilienzforschung spricht von einem „unerwartet positiven Entwicklungsergebnis trotz Widrigkeiten“ (Lisi, 2020). Resilienz ist kein festes Persönlichkeitsmerkmal, sondern ein Prozess: Sie entsteht in der Wechselwirkung zwischen Belastungen und Ressourcen. Wer Rückschläge erlebt, entwickelt Fähigkeiten, die man sich nicht im Training aneignen kann.

Gleichzeitig darf man Resilienz nicht romantisieren: Nicht jedes Scheitern macht stärker. Manche Brüche sind so tief, dass sie nur mit Unterstützungssystemen zu bewältigen sind. Resilienz ist nie nur individuell, sondern immer auch strukturell.

Scheitern ist kulturell

In den USA ist Scheitern beinahe Teil des Karrierewegs. “Fail fast, learn faster” gilt als Mantra des Silicon Valley. Ein Begriff, der heute weniger für einen geografischen Ort steht, sondern als Chiffre für eine Denkweise: Risikobereitschaft, Wachstumsorientierung, Akzeptanz von Bruchstellen.

Investoren wie Reid Hoffman oder Marc Andreessen betonen, dass sie Gründer:innen mit mindestens einem gescheiterten Startup bevorzugen, da diese Erfahrungen als Indikator für Lern- und Anpassungsfähigkeit gelten. Paradebeispiele sind die Gründer von Airbnb, die jahrelang mit absurden Ideen wie einem Obama-Müsli (“Obama O`s”) scheiterten, bevor ihre Plattform Erfolg hatte.

Aber: Dieses Failure-Narrativ ist nicht universell. Es ist eng mit spezifischen Milieus verknüpft – Technologie- und Unternehmenskulturen, in denen soziales und finanzielles Kapital Scheitern abfedert. Für Menschen ohne diese Netzwerke bedeutet ein Bruch in den USA nicht selten den Absturz. „Scheitern als Badge of Honor“ ist also weniger Realität für alle als vielmehr ein kulturelles Ideal bestimmter Eliten (vgl. Sarasvathy, 2001; Shepherd, 2003).

Ganz anders in Japan: Trotz Kintsugi und dem ästhetischen Ideal des Schönreparierens ist Scheitern im Berufsleben selten Teil der öffentlichen Erzählung. Fehltritte sind oft mit Scham verbunden. Die Konzepte von honne (wahre Gefühle) und tatemae (gesellschaftliche Fassade) verdeutlichen, wie stark ein innerer Konflikt zwischen individuellem Versagen und kollektivem Harmonieanspruch sein kann. Gleichzeitig zeigt das Prinzip kaizen (kontinuierliche Verbesserung), dass auch dort Brüche nicht ignoriert, sondern still in Lern- und Optimierungsprozesse integriert werden. Resilienz bedeutet hier weniger „Scheitern feiern“, sondern „Scheitern absorbieren“.

Ein neuer Blick auf Karriere

Resilienz zeigt sich nicht nur in Volkswirtschaften oder in theoretischen Modellen, sondern vor allem in einzelnen Lebenswegen. Bei uns gibt es zahlreiche Kolleg:innen, die beweisen, dass Scheitern und Umwege keine Hindernisse, sondern Treiber sein können.

So erzählt etwa Olivier Geiger, wie er vom Kundenservice ins Underwriting wechselte, ein Weg voller Richtungswechsel und neuer Chancen. Und auch Marc Niederhauser beschreibt seinen Weg vom Strassenbau in die Kundenberatung, getragen von Mut, Quereinstieg und einem starken Netzwerk.

Diese Geschichten zeigen: Resilienz kommt nicht immer spektakulär daher. Manchmal bedeutet sie schlicht, weiterzugehen, neue Wege einzuschlagen und Verantwortung für das eigene Glück zu übernehmen. Es geht nicht darum, Scheitern zu suchen, sondern darum, Wendepunkte ernst zu nehmen und in ihnen das Potenzial für Transformation zu erkennen. 

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